Priorität 2: Partizipations- und generationenfreundliche Städte und Gemeinden

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Partizipations- und generationenfreundliche Städte und Gemeinden zeichen sich dadurch aus, dass sie Teilhabe- und Mitgestaltungsmöglichkeiten für Menschen jeden Alters schaffen bzw. verstärken. Dabei geht ebenso um den Zugang zu geteilten Ressourcen wie um möglichst egalitäre Settings und Strukturen, die individuelles Empowerment ebenso fördern wie den intergenerationalen Zusammenhalt und gemeinschaftliche Aktivitäten.

Partizipationsmodelle

Partizipation ist ein sehr umfassendes und weitreichendes Konzept, das verschiedenen Systematisierungsversuchen unterzogen worden ist. Häufig wird ein Stufenmodell mit neun Stufen (nach Wright, Block und von Unger) zur Visualisierung der unterschiedlichen Ebenen von Partizipation verwendet.15

Der FGÖ schlägt in seinen Qualitätskriterien zur Planung und Bewertung von Projekten der Gesundheitsförderung ein vereinfachtes Modell mit drei Indikatoren vor:

  • Es sind für die Zielgruppe/n und weitere Anspruchsgruppen (Stakeholder) Möglichkeiten vorgesehen, sich in Entscheidungsprozesse einzubringen (Themen, Meinungen, Bedarfe),
  • Es sind für die Zielgruppe/n und weitere Anspruchsgruppen (Stakeholder) Möglichkeiten vorgesehen, wesentliche Projektschritte mitzuentscheiden.
  • Es sind für die Zielgruppe/n und weitere Anspruchsgruppen (Stakeholder) Möglichkeiten vorgesehen, sich aktiv an der Projektplanung und -umsetzung zu beteiligen

Der Fokus auf Partizipation in der Gesundheitsförderung bedeutet, dass die gesundheitsfördernden Aktivitäten und Maßnahmen zu einer Erweiterung der Teilhabe- und Mitgestaltungsmöglichkeiten beitragen, partizipativ entwickelt werden und so bestmöglich auf die Bedürfnisse der verschiedenen Beteiligten (Teilnehmer:innen, Entscheidungsträger:innen, andere Akteurinnen und Akteure) abgestimmt sind, die Ressourcen aller Beteiligten berücksichtigen und nutzen und damit auch größere Erfolgs- und Nachhaltigkeitschancen haben.

Vulnerabilitäten

Die Corona-Pandemie macht/e die besondere gesundheitliche Vulnerabilität von Armutsbetroffenen und Armutsgefährdeten deutlich. Eine Erhebung zur sozialen Lage aus Sicht von Armutsbetroffenen und -gefährdeten zeigt, den Wunsch nach einem bedingungslosen Grundeinkommen und nach einem leichten Zugang zu kostenlosen Psychotherapien sowie den Bedarf nach allgemeiner Gesundheitsförderung.16 Wie etwa der Verwirklichungschancenansatz nach Martha Nussbaum zeigt, sind soziale Teilhabechancen, Mitgestaltungsmöglichkeiten des eigenen Lebensraums und die Zugehörigkeit zu sozialen Netzwerken genauso wichtig für das subjektive Wohlbefinden wie die materielle Existenzsicherung.17

Es gilt also, in Gesundheitsförderungsprojekten Teilhabe und Mitgestaltungsmöglichkeiten im Lebensumfeld sicherzustellen – für alle Generationen, die dort aufeinandertreffen. Die demografische Entwicklung – steigende Lebenserwartung, Wachstum der älteren Bevölkerungsanteile –, aber auch Entwicklungen am Arbeitsmarkt und geänderte Lebensstile, haben weitreichende Konsequenzen für Haushalts- und Familienstrukturen, die Zivilgesellschaft und das Zusammenleben in der Gemeinschaft.

Dimensionen der Diversität

Intergenerative Projekte sind eine Möglichkeit, die Begegnung zwischen Menschen unterschiedlichen Alters und das gemeinsame, zivilgesellschaftliche Engagement sowie die Solidarität der verschiedenen Generationen – außerhalb der Familie – zum beiderseitigen Nutzen zu fördern. Die Potenziale von Generationenprojekten gehen aber weit über diese Aspekte hinaus.

Aber nicht nur die Dimension Alter ist für die Gesundheitsförderung wichtig: So sollten etwa auch geschlechts- und diversitätsspezifische Unterschiede generell in der Planung, Umsetzung und Evaluation von Maßnahmen der Gesundheitsförderung berücksichtigt werden. Ein aktuelles Beispiel: Ein Großteil der im Gesundheitsbereich und anderen systemrelevanten Bereichen (z. B. Handel) tätigen Personen sind Frauen, die durch die Covid-19-Pandemie und deren Folgen besonderen psychischen Belastungen bzw. gesundheitlichen Risiken ausgesetzt waren und sind. Zusätzlich übernehmen hauptsächlich Frauen die Sorgearbeit.18 Neben geschlechtsspezifischen Unterschieden ist auch die Berücksichtigung anderer Dimensionen von Diversität – z. B. Behinderungen und/oder chronische Erkrankungen, Migrationsbiografien und Fluchterfahrungen – für die Planung, Umsetzung und Evaluation von Maßnahmen der Gesundheitsförderung höchst relevant.

Folgende Projekte sind der Priorität 2 zugeordnet:

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15 Vgl. etwa https://leitbegriffe.bzga.de/alphabetisches-verzeichnis/partizipation-mitentscheidung-der- buergerinnen-und-buerger/

16 Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (2020): COVID-19: Analyse der sozialen Lage in Österreich, Wien.

17 Vgl. Thomas Altgeld und Uwe Bittlingmayer (2017): Verwirklichungschancen/Capabilities, in: Leitbegriffe der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. www.leitbegriffe.bzga.de/alphabetisches- verzeichnis/verwirklichungschancen-capabilities

18 Büro für Frauengesundheit und Gesundheitsziele/Wiener Programm für Frauengesundheit (2020): Frauengesundheit und Corona. Sammelband des Wiener Programms für Frauengesundheit. www.wien.gv.at/gesundheit/beratung-vorsorge/frauen/frauengesundheit/pdf/frauengesundheit-corona.pdf