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Bürger:innenbeteiligung ist ein beliebtes Instrument der Lokalpolitik, um soziale Problematiken anzugehen. Doch was ist die Motivation von Bürgerinnen und Bürgern, sich freiwillig für ihre Nachbarschaft zu engagieren? Die Studie „Co-Producing a Nicer Neighbourhood: Why do People Participate in Local Community Development Projects?“ widmet sich genau dieser Frage.
Gemeinnützige Koproduktion als Lösungsansatz
Lokale Regierungen stehen vielen Herausforderungen gegenüber: soziale Ungerechtigkeit, stark fragmentierte Nachbarschaften und eine alternde Gesellschaft. Um dem gerecht werden zu können, ist Bürger:innenbeteiligung an Stadtentwicklungsprojekten ein beliebtes Mittel dafür, Servicequalität zu verbessern, Produktionseffizienz zu steigern und Budgetkürzungen zu ermöglichen. Was aber sind die Beweggründe für Bürger:innen, sich an öffentlichen Aufgaben für das Allgemeinwohl zu beteiligen? Eine Einzelfallstudie in einem der ärmsten Viertel im belgischen Gent sollte diese Frage klären.
Umsetzung der Studie und Ausgangslage
- Als Grundlage für die Studie diente das Projekt „Samenlevingsopbouw Gent“. Hierbei arbeiten Angestellte der Stadt Gent Seite an Seite mit Bürgerinnen und Bürgern zusammen, um öffentliche Angebote für die Regeneration der Nachbarschaft zu implementieren, etwa in Form eines Stadtgartens.
- Teilnehmer:innen, die meist geringe bis gar keine Einkommen aufweisen und Sozialleistungen beziehen, erhalten für ihre Teilnahme eine alternative Währung, mit der sie in lokalen Geschäften billiger einkaufen können. Von 8.300 Einwohner:innen nahmen bis zu 350 an dem Projekt teil, wovon 37 für die Studie befragt wurden.
- Man kann bei Menschen grundsätzlich von einer äußeren und einer inneren Motivation, etwas zu tun, ausgehen. Während die äußere vorrangig auf einem Bestrafungs- und Belohnungssystem beruht, fußt die innere auf der Sinnhaftigkeit der Unternehmung für eine:n selbst und das nähere Umfeld.
Ergebnisse der belgischen Studie
Eingangs sei erwähnt, dass die Studie aufgrund ihrer Größe und des speziellen Untersuchungsgebietes nur eingeschränkte Ergebnisse brachte. Viele Teilnehmer:innen waren wegen der schwierigen Wohnsituation nicht zu identifizieren oder hatten kein Interesse an der Erhebung. Bei Folgeuntersuchungen ist daher wichtig, dass die Befragungen professionell begleitet werden, um brauchbares Datenmaterial zu erzeugen. Dennoch ergab die Umfrage interessante Ergebnisse. Etwas überraschend ist dabei das Resultat, dass die äußerliche Motivation den geringsten Anreiz zur Teilnahme auf die Bürger/:innen ausübte, obwohl das Projekt auf dem Belohnungssystem einer Komplementärwährung basierte. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass ein Handeln aus innerem Antrieb heraus das Kompetenzgefühl und die Selbstwirksamkeit von Menschen stärkt. Ein wertorientiertes, solidarisches Handeln und der Wunsch nach sozialem Kontakt konnten als starke Motivationsgründe ausgemacht werden. Besonders ausschlaggebend aber war eine gleichberechtigte Teilhabe am Projekt ohne Hierarchien. Da die Bürger:innen auf Augenhöhe mit den Profis zusammenarbeiteten, hatten sie keine Scheu, Dinge direkt anzusprechen, waren die Ersten, die über Veränderungen informiert wurden und gegebenenfalls ein Mitspracherecht bei Entscheidungen hatten. Ein weiteres Ergebnis der Studie war, dass die Teilnehmer:innen von ihrer soziokulturellen Herkunft her bunt gemischt waren. Politik und Verwaltung sollten also in Zukunft nicht nur den weißen Mann der Mittelklasse mittleren Alters ansprechen und den Wunsch nach Gewinnmaximierung als oberstes Ziel annehmen, sondern vielmehr die Vielschichtigkeit der inneren Motivation von Teilnehmerinnen und Teilnehmern berücksichtigen und diese auch gezielt ansprechen.
Daphne Vanleene, Joris Voets, Bram Verschuere, Co-Producing a Nicer Neighbourhood: Why do People Participate in Local Community Development Projects?, Les Localis-Journal of local Self-Government, 15(1), 111–132, 2017.