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Teil einer gezielten Gesundheitsförderung für ältere Menschen ist die adäquate Ausgestaltung einzelner Wohnbezirke. Für die Wiener Studie „Sozialraum und Altern: Aktivitätspotentiale von Älteren in der Gesundheitsförderung“ wurde untersucht, wie ältere Menschen ihren Lebensraum nutzen und wie sich dies im Einzelnen unterscheiden kann.
Alter(n) hat viele Gesichter
Die Mobilität von Menschen nimmt mit dem Alter tendenziell ab und die eigene Wohnumgebung wird immer wichtiger. Die Stadt Wien, deren Bevölkerung zu einem Viertel aus über 60-Jährigen besteht, versucht durch Gesundheitsförderung und Stadtteilarbeit auf daraus resultierende Bedürfnisse verstärkt einzugehen. Dank eines gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsnetzes und vielfältigen Angeboten an Aktivitäten für ältere Menschen, die von diversen Organisationen, Vereinen und Institutionen umgesetzt werden, ist in vielen Bezirksteilen auch im Alter Mobilität gut möglich. Eine Herausforderung für derartige Angebote besteht jedoch darin, entsprechende Zielgruppen zu erreichen, da das „Alter(n)“ sich durch eine zunehmende Heterogenität auszeichnet. Das Projekt „Gesund älter werden in Wien“ versuchte herauszufinden, wie und wozu ältere Menschen die Stadt nutzen und ob sich daraus eine Typologisierung ableiten lässt. Die Ergebnisse der ersten Phase wurden von Katharina Resch, Julia Demmer und Anna Fassl zusammengefasst.
Ausgangslage und Umsetzung der Untersuchung
- Um herauszufinden, welche Wege täglich von den Bewohnerinnen und Bewohnern begangen werden oder welche nicht, fanden zwischen Mai und Juli 2018 insgesamt 27 Stadtteilbegehungen mit 30 Personen im Alter von 61 und 84 Jahren statt.
- Im Anschluss dazu wurden Interviews mit den 30 Probandinnen und Probanden durchgeführt.
- Hauptfragen der Untersuchung waren: Welche Formen der sozialräumlichen Aneignung lassen sich bei älteren Bewohnerinnen und Bewohnern mit Fokus auf Gesundheit, Mobilität, Angebotsnutzung und sozialer Eingebundenheit rekonstruieren? Welche Aktivitätspotenziale weisen ältere Wiener:innen auf? Und welche Aktivitätstypen können unterschieden werden?
Typologisierung für eine gezieltere Ansprache der Zielgruppen
Die Ergebnisse der Auswertung zeigen, dass sich die lebensräumliche Nutzung der Stadt durch Seniorinnen und Senioren in Wahrnehmung, Handlung und Gestaltung deutlich voneinander unterscheidet. Die Angebotsentwicklung und -nutzung wurde in Kern- und Außenbezirken unterschiedlich beschrieben. Darüber hinaus wurde ersichtlich, dass sich nicht alle älteren Menschen aktivieren lassen und von bestehenden Angeboten adressiert fühlen (wollen).
Grundsätzlich lässt die Auswertung eine Kategorisierung älterer Bewohner:innen in vier Aktivitätsypen zu:
- Typ 1 „Vollaktivität“ ist besonders aktivitätsorientiert, ressourcenstark und mit Tätigkeiten ausgelastet, die seit Jahren in einer Organisation oder Gruppe ausgeübt werden. Dieser Typ möchte andere unterstützen und verfügt über eine sehr gute soziale Eingebundenheit. Derzeit besteht für ihn keine Zeit oder kein Interesse, weitere Aktivitäten aufzunehmen.
- Typ 2 „erweiterbare Aktivität“ geht mehreren Aktivitäten in der Stadt nach und ist offen für Neues. Er ist keiner Organisation zugehörig und engagiert sich nicht freiwillig, verfügt aber über eine gute soziale Einbindung und lernt auch neue Menschen kennen.
- Typ 3 „Aktivität trotz Belastung“ lebt allein, ist wenig sozial eingebunden und familiär verortet. Aufgrund gesundheitlicher oder emotionaler Belastungen, ist er weniger mobil, geht aber seinen Interessen nach. Er hat wenig Kontakt zu Angehörigen und weist eine pessimistischere Lebenshaltung auf als die anderen Typen.
- Typ 4 „Verlust der Aktivität“ erlebt einen Rückzug im Alter. Dieser Typ ist nur in der Familie verortet und hat wenig Eigenantrieb, Angebote der Stadt auszuprobieren, auch wenn diese räumlich naheliegen. Seine Mobilität beschränkt sich auf den Bezirk und die eigene Wohnung ist sein Lebensmittelpunkt.
Jeder dieser Typen weist unterschiedliche Bedingungen und Herausforderungen für die Gesundheitsförderung und Stadtteilarbeit auf. Schlussfolgernd sei gesagt, dass die Nutzung der Typologie die Gesundheitsförderung vor allem darin unterstützen kann, ihre Zielgruppenadressierung zu verfeinern.
Katharina Resch, Julia Demmer, Anna Fassl, Sozialraum und Altern: Aktivitätspotentiale von Älteren in der Gesundheitsförderung (Wien, 2019).