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Viele Faktoren haben Einfluss auf Einsamkeitserleben und Isolation. Einer davon ist der Raum, der uns umgibt. Der Zusammenhang zwischen Raum und Einsamkeit wurde bislang kaum wissenschaftlich erforscht. Für die Expertise wurde herausgearbeitet, welche raumbezogenen Faktoren Einfluss auf Einsamkeits- und Isolationserleben sowie Formen sozialer Exklusion nehmen.
Einsamkeit und Isolation sind nicht bloß das Ergebnis einer individuellen „Entscheidung“ zum Rückzug. Vereinsamung kann auch aus einem Mangel an „Gelegenheitsstrukturen“ in der Region oder am Wohnort ausgelöst werden. Fehlen niederschwellige Begegnungsorte – als Beispiele nennt Claudia Neu etwa Bäckereien, Schulen oder Schalterhallen –, finden die Menschen weniger Möglichkeiten, zwanglos mit anderen ins Gespräch zu kommen. Und die Folgen von Einsamkeit sind weitreichend: Sie führt zu sozialem Rückzug und gibt das Gefühl, ausgeschlossen zu sein. Sie verdüstert auch den Blick auf den Zusammenhalt in der Gemeinde und verringert das Vertrauen in die Institutionen.
Nach einleitenden Kapiteln über Definitionen und regionale Prävalenzen (mit einem Fokus auf Deutschland und einem Abschnitt über die Situation während der Pandemie), arbeitet die Autorin in den beiden folgenden Kapiteln zu den Themen Raumressourcen/ Gelegenheitsstrukturen und Infrastrukturen des Zusammenhalts. Während ersteres den Forschungsstand zu den unterschiedlichen Zusammenhängen von Raum und Vereinsamung zusammenführt – von kollektiven Verlustnarrativen bis hin zu den verschiedenen Wirkungsweisen von Nachbarschaft –, ist zweiteres praktischen Beispielen gewidmet. Vorgestellt werden Projekte und Prozesse, die erfolgreich Begegnungsorte schaffen und Interaktion ermöglichen. Gemeinsam sei diesen Beispielen, so Claudia Neu, dass sie sich nicht explizit an vereinsamte Menschen richten, sondern weitere Teile der Bevölkerung einbinden. Ein Beispiel ist etwa das „Café auf Rädern“: Der Bollerwagen, der Kaffee, Tee, Tischchen und Sessel geladen hat, kommt regelmäßig in zwei Grätzel des Berliner Bezirks Marzahn-Hellersdorf. Die Passantinnen und Passanten werden zu einer Tasse und einem Gespräch eingeladen. Ganz anders gelagert ist das Projekt „RESet – Resonanzräume erforschen und transformieren“ –, in dem es darum ging, arbeitslosen und in Armut lebenden Menschen zu ermöglichen, die „eigenen“ Orte (z. B. der Raum hinter dem Supermarkt, Bank im Park, Angelplatz am Kanal) neu wahrzunehmen und zu bewerten und sich so als selbstwirksam zu erfahren.
Den Abschluss der Expertise bildet ein Kapitel über Implikationen für Wissenschaft und Praxis. Neben Forschungsdesiderata (z. B. Prävalenz, Prädiktoren, kleinteilige Strukturen, soziale Faktoren, analoge/digitale Maßnahmen zur Aufwertung von Räumen), fasst die Autorin auch Handlungsempfehlungen an die Praxis zusammen (Erhöhung von regionalen Zugangs- und Teilhabemöglichkeiten, Erhöhung von Begegnungs- und Bindungschancen, Aufsuchen und Sichtbarmachen, Gestaltung von Zusammenhalt als aktiven Prozess).
Claudia Neu, Place Matters! Raumbezogene Faktoren von Einsamkeit und Isolation – Erkenntnisse und Implikationen für die Praxis, hg. Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. Kompetenznetz Einsamkeit, Berlin 2022.